Auf dem Pult steht eine mit Ketten und Zahlenschlössern gesicherte Holzkiste, an der sich gerade eine Schülerin zu schaffen macht.
“Wir brauchen noch deinen Buchstaben!” wird quer durch den Raum gerufen, während zwei andere sich über einen QR-Code beugen, dem in der Mitte ein paar Punkte fehlen. An einem Tisch in der Ecke wird laut die Erkenntnis “das sind alles Primzahlen!” verkündet. Und ein Schüler hat eben mit einer UV-Lampe ein unsichtbares Koordinatensystem an der Pinnwand entdeckt.
Die Klasse ist auf Schatzsuche unterwegs – in der Fachwelt hat sich dafür der Begriff “EduBreakout” etabliert. Das Konzept ist den mittlerweile verbreiteten Escape-Rooms entlehnt, bei denen man in einem Raum eingesperrt ist, dem man nur durch das Lösen diverser Rätsel wieder entkommen kann. Doch in der Schule wird selbstverständlich niemand eingesperrt, vielmehr versucht man sich am Einbruch (in die Schatzkiste).
Zu jedem Schloss gehört meist ein Rätsel, das es gemeinsam zu lösen gilt. Alleine hat man meist keine Chance, hier ist Teamarbeit gefragt. Doch die Aufgabenstellungen sind ganz anders als in Mathe-Buch – manchmal kryptisch, oft doppeldeutig und gerne auch mal nicht vorhanden. Mit “Schema F” kommt man meist nicht weiter. Jedes Rätsel hat zwar einen fachlichen Inhalt, doch der ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar und muss manchmal aus einem ganz ungewöhnlichen Blickwinkel betrachtet werden. So verwandeln sich Rechenergebnisse in Buchstaben, eine Geometrie-Aufgabe hat eine graphische Darstellung eines Zahlencodes zum Ergebnis oder man muss eine Lösung nur durch Ertasten herausfinden. Bei manchen Rätseln erhält auch jede*r Schüler*in nur einen Teil der Aufgabe, der zuerst selbstständig gelöst und dann zu einem Gesamtergebnis zusammengefügt werden muss.
Ein Breakout ist vielseitig – er kann im Klassenzimmer, auf dem ganzen Schulgelände aber auch im Distanzunterricht durchgeführt werden. Im Präsenzunterricht bietet sich eine Mischform aus digitalen und analogen Elementen an – eine Lernplattform bietet (z.B. in Verbindung mit einem Tabletkoffer) neben tollen Möglichkeiten zur Bereitstellung der Rätsel und zur Gestaltung auch eine große Vielfalt an Werkzeugen, die die Schüler*innen beim Rätseln nutzen können.
Aber warum will man überhaupt in die Schatzkiste einbrechen? Das erzählt die Rahmengeschichte des Breakouts – sei es die Suche nach dem versunkenen Atlantis oder nach den Geheimrezepten eines Alchimisten – die den roten Faden durch die verschiedenen Rätsel darstellt.
Die Schüler*innen begegnen einem Breakout üblicherweise mit hoher Energie und großer Ernsthaftigkeit. Es kann durchaus sein, dass man als Lehrkraft damit konfrontiert wird, dass eine Klasse sich weigert, in die Pause zu gehen, weil sie an den Rätseln weiterarbeiten möchten – oder dass selbst am Abend vor dem Zeugnistag noch fieberhaft versucht wird, die letzten Codes zu knacken, und intensive Diskussionen auf der Lernplattform geführt werden. Klassen, die derartige Aufgabenformen nicht kennen, brauchen zu Beginn noch etwas Zeit, mit der ungewohnten Tätigkeit warm zu werden. Für die Lehrkraft ist die größte Herausforderung, sich hier zurückzuhalten und nicht vorschnell Tipps zu geben – die Arbeit der Lerngruppe hat hier Vorrang und auch das zwischenzeitliche Scheitern gehört mit zum Gruppenprozess.
Hat Sie jetzt auch die Rätsellust gepackt? Dann versuchen Sie sich doch an folgenden Original-Aufgaben:
Und was befindet sich nun in der Schatzkiste? Das ist durchaus unterschiedlich – von einer kleinen Süßigkeit bis hin zu individuellen Sammelkarten ist hier viel möglich.
Die Methode ist freilich nicht nur für den Mathematikunterricht geeignet – im sprachlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich hat sie ihre größte Verbreitung. Und auch ist das keine Methode für jede Stunde (wie jede andere Methode ebenso), zusätzlich ist der Aufwand für die Vorbereitung durchaus hoch. Aber andererseits erlebt man als Lehrkraft selten so intensive und (in positivem Sinne) nervenaufreibende Stunden wie beim gemeinsamen Einbruch in die Schatzkiste. Und das Schüler*innen-Urteil ist eindeutig: Auf dem Wunschzettel zu Beginn des neuen Schuljahres steht bei vielen “Schatzsuche”.